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Pansori Prismen

Vier neue Blicke auf koreanisches Pansori

Soohyun Moon | Sori Choi

Fotocredit links: Seung-Yeol Na, Fotocredit rechts: Sangjin Kim

»Pansori Prismen« ist die Zusammenarbeit von vier Komponist:innen aus Korea, dem Iran, Taiwan und Deutschland und zwei koreanischen Musikerinnen der traditionellen Pansori-Kunst, einer einzigartigen Form des narrativen Gesangs. In intensivem Austausch lernten die Komponist:innen die musikalischen Elemente kennen und nahmen dann die Tradition in ihren eigenen Kompositionen in den Blick. Dabei begegneten Komponist:innen und Interpretinnen dem Fremden: die einen einer besonderen Musik- und Textwelt, die anderen einer kompositorischen Reaktion auf ihre Musik, die sie zu neuen künstlerischen Ausdrucksweisen inspirierte.

Programm

Niloufar Shahbazi وچ… [Vâv Ché]
für Pansori und Elektronik
CHEN Chengwen Musik für Susanna
für Pansori und Elektronik
Jungeun Park Eingravierte Erinnerung
für Pansori
Joachim Heintz Salz
für Pansori, zwei Schauspieler:innen und Elektronik
Gesamtdauer: ca. 90 Minuten (ohne Pause)

Besetzung

Soohyun Moon — Pansori Gesang

Sori Choi — Buk

Lukian Anhölcher, Niloufar Shahbazi — Szenische Aktion

Niloufar Shahbazi, CHEN Chengwen, Jungeun Park, Joachim Heintz — Elektronik

Werkeinführungen

Niloufar Shahbazi

وچ… [Vâv Ché]

für Pansori und Elektronik

Erinnerungen,

ohne Warnung,

schlüpfen durch einen kleinen Spalt ins Bewusstsein.

Sie bleiben.

Nicht weil sie so prägnant sind,

sondern wegen dem was nie ausgesprochen wurde,

wegen dem was unfertig hinterlassen wurde.

 

Du starrst in den Spiegel ...

aber das Gesicht ist nicht mehr dasselbe.

Nicht wegen dem Gestern, nicht wegen der Erinnerung.

Nur dass etwas geknickt wurde, und zerbrach.

Man kann es nicht anschauen,

man kann es nicht zerreißen.

Man knickt es noch einmal,

und begräbt es tief,

in einer Schublade des Bewusstseins.

 

(Aus Spiegel mit Türen von Houshang Golshiri)

VâvChé...

Ein unvollendetes Fragment,

eine halb-ausgesprochene Reflektion.

Jede Person findet ihren eigenen Ausdruck.

CHEN Chengwen

Musik für Susanna

für Pansori und Elektronik

Musik für Susanna basiert auf einer biblischen Erzählung (Daniel 13,1-27) sowie der Auseinandersetzung mit dem Gemälde »Susanna und die beiden Alten« von Rembrandt van Rijn. Susanna, als Ehefrau eines reichen Mannes, wurde begehrt von zwei Hausgästen und schließlich gezwungen, sich mit sexueller Belästigung sowie menschlicher Unterdrückung zu konfrontieren.

Pansori heißt wörtlich Gesang (Sori) auf öffentlichem Platz (Pan). Es besteht aus Gosu (Trommelspieler*in), Chang (Erzähler*in) und (!) dem Publikum. In der Aufführungspraxis wird die Geschichtenerzählung konkret durch das sogenannte „Chuimsae“, einer bestimmten Form des Ausrufs, der sowohl vom Trommelspieler, als auch aus dem Publikum kommen kann, kommentiert und begleitet.

In der Musik wird das Publikum mit vier Fragen konfrontiert: Wer ist Susanna? Was macht Susanna? Wie spricht Susanna? Was empfindet Susanna? Das Publikum wird dabei ermutigt, die Fragen aus der Perspektive Susannas heraus mitzudenken. Das Erlebnis der Susanna ist leider kein Einzelfall und auch nicht Vergangenheit – mit dem direkten Blick zum Betrachter stellt Rembrandts Susanna auch eine Frage an uns in der Gegenwart.

Jungeun Park

Eingravierte Erinnerung

für Pansori

Eingravierte Erinnerung („In den Körper eingegrabene Erinnerung“) thematisiert die Spuren von Trauma, die sich tief in den Körper einschreiben und dort als Klang, Atem und Bewegung weiterleben. Die Stimme (Pansori) und die Trommel (Buk) verkörpern zwei Körper: den atmenden, erinnernden Körper und den rhythmischen, pulsierenden Körper der Zeit. Ihre Beziehung ist kein Dialog, sondern eine Resonanz des Schmerzes, ein Austausch von innerem Zittern und äußerem Aufprall.

Das Werk beginnt mit einer Performance mit einem langen weißen Tuch. Die Pansori-Sängerin bewegt sich über die Bühne, legt das Tuch auf den Boden, bindet es an Stühle und formt daraus eine Spur – ein Gewebe aus Erinnerung. Dieses Tuch steht für die Reste der Vergangenheit, für die unsichtbaren Verbindungen zwischen Körper und Welt.

Aus dieser stillen Geste entwickelt sich der Rhythmus des Körpers und des Atems. Die Stimme folgt keinem Text, sondern atmet, flackert, stöhnt. Der Buk antwortet mit körperlichen Impulsen, bis beide in einen Zustand des Chaos und der rhythmischen Kollision geraten – ein Aufeinanderprallen innerer und äußerer Zeit.

Nach diesem Ausbruch folgt eine Phase der Stille und Konzentration. Nur Atem bleibt, und der Raum wird leer. Diese Leere ist keine Verneinung, sondern ein Moment der Neuordnung: die Erinnerung wird neu zusammengesetzt, die Zeit beginnt von vorn.

Joachim Heintz

Salz

für Pansori, zwei Schauspieler:innen und Elektronik

Manchmal ist es nicht leicht sich für einen Titel zu entscheiden. Andere Titel für dieses Stück waren, für eine Zeit: Rätsel, Ritual, Opfer, Alltäglicher Vorgang, Unbearable (in der doppelten Bedeutung von Untragbar und Unerträglich). Vielleicht deuten sie das Feld an, in dem sich diese Komposition bewegt.

In der Pansori Erzählung Simcheong-ga wird von einem Ritual erzählt, bei dem Handelsschiffer dem Drachengott des Meeres einmal im Jahr eine Jungfrau opfern, damit sie sicher segeln und gute Geschäfte machen können. Simcheong verkauft sich (was übrigens als normal dargestellt wird) und erlebt dann im Bauch des Schiffes, in der Fahrt zu ihrem Tod eine existenzielle Einsamkeit, die im Peompijungryu Gesang ergreifend geschildert wird.

Die Phantasie, das Bild, das mein Stück trägt, nimmt Elemente davon auf. Anderes kommt hinzu, aus sehr verschiedenen Richtungen, und alles tritt zu einer merkwürdigen, rätselhaften, vielleicht absurden Konstellation zusammen.

Salz ist der Titel einer Erzählung von Isaak Babel aus der Sammlung Die Reiterarmee von 1922. Auch in ihr wird eine Frau geopfert, und auch Babels Erzählung zittert vor Paradoxien. Sie ist eine von vielen Assoziationen, Nachbargeschichten, die sich einstellten, als ich das Simcheong-ga las und mit Soohyun Moon darüber sprach.

Dank an

Joss Reinicke — Probenleitung

Bärbel Kasperek — Szenische Beratung

Imke Misch — Musikwissenschaftliche Begleitung

Hassan Sheidaei — Lautsprecherobjekt

BIOGRAPHIEN

CHEN Chengwen

CHEN Chengwen 陳政文 (*1980) tätig als freischaffender Komponist im vokal-instrumentalen sowie im elektroakustischen Bereich. Geboren 1980 in Taiwan, lebt und arbeitet seit 2010 in Deutschland. Seine Kompositionen schaffen oft neue Hörsituationen, indem sie scheinbar Vertrautes als Fremdes erklingen lassen, die Körperlichkeit der Musiker in außergewöhnlicher Weise inszenieren oder neue Konzertformen erforschen. Im Vordergrund steht dabei das akustische Denken, welches durch elektroakustische Hörerfahrungen inspiriert ist, z.B. durch spektrale Sprachanalysen, räumliche Perspektiven oder die Entwicklung von hybriden Instrumenten-Klangkörpern. Eine wichtige Rolle spielt die musikalische Auseinandersetzung mit transkulturellen Erfahrungen und Fluidität. Kompositionsstudium in Taiwan und 2010-16 in Deutschland, zunächst an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover (Konzertexamen), danach elektroakustische Komposition an der Hochschule für Künste Bremen. Seit 2018 als Mitglied von tritonus e.V. Mitorganisation der Konzertreihe HörenSehen.

Jung-Eun Park

Jung-Eun Park (*1986) begann ihre Laufbahn als Komponistin nach ihrer Rückkehr 2017 mit der Uraufführung eines großen Ensemblewerks beim Tongyeong International Music Festival Asia Showcase. Sie studierte Komposition an der Chugye University for the Arts und der Hanyang University, später dann in Deutschland mit dem Master in Hannover und Konzertexamen in Düsseldorf. Während ihrer Jahre in Deutschland präsentierte sie ihre Werke bei wichtigen Festivals für zeitgenössische Musik, in Meisterkursen und Seminaren, und arbeitete mit führenden Ensembles zusammen. Seit ihrer Rückkehr nach Korea hat sie fortwährend neue Werke in Europa, den USA und Asien aufgeführt. Ihre Musik befragt die Rolle der Kunst und erforscht ihre Verbindung zum menschlichen Leben, indem sie neue Klänge, Formen und Technologien einsetzt, um eine besondere Musiksprache zu entwickeln. In jüngster Zeit hat sie ihren künstlerischen Ausdruck durch interdisziplinäre Zusammenarbeit erweitert, die Bewegung, Video, Text und Performance einschließt und dadurch dem Publikum eine multidimensionale Erfahrung ermöglicht. Ihre Werke haben internationale Würdigung erhalten, unter anderem Preise vom Impuls Kompositionswettbewerb (Klangforum Wien), den Wettbewerben in Siegburg und Stuttgart, dem Leibniz Special Prize and dem Preis Asia Composers Showcase des Goethe-Instituts. Sie lehrt derzeit Komposition an verschiedenen Universitäten und setzt so ihren dualen Weg als Komponistin und Lehrerin fort.

Soohyun Moon
© Sangjin Kim

Soohyun Moon (*1982) ist eine koreanische Sängerin. Ihre künstlerische Praxis setzt an bei Pansori, überschreitet jedoch die Grenzen der Tradition in Richtung experimenteller Musik und Performance. Ihre Arbeit befragt die Verbindung von Identität, Weiblichkeit, Körperlichkeit und Transzendenz. Sie nähert sich Klang nicht als Form, sondern als Ereignis des Daseins, als Zeugnis für Bruch und Werden. 2023 wurde sie als musician-in-residence für Art Omi (New York, USA) ausgewählt. Ihre Performances entstehen oft durch Zusammenarbeit, Improvisation, und durch die Begegnung mit dem Unerwarteten. Sie ist dem koreanischen Denken tief verbunden, schamanistischen Überresten, Mythen und verkörperter Stimme. Ihre Arbeit widersteht einer Auflösung; stattdessen gibt sie der Resonanz miteinander verbundener Differenzen eine Stimme.

Sori Choi
© Seung-Yeol Na

Sori Choi (*1987) begann ihre musikalische Reise als Schlagzeugerin im Alter von sechs Jahren mit der Janggu Trommel. Ihr Weg führte zur National High School of Korean Music und dann weiter zum Seoul National University’s College of Music. Sie ist auf zahlreichen internationalen Festivals aufgetreten, unter anderem Musica Insieme Panicale (Italien), Aarhus Festuge (Dänemark), New Music Concerts (Kanada), World Minimal Music Festival (Niederlande), Klangspuren Festival (Österreich), Weiwuying Arts Festival (Taiwan) und Tongyoung International Music Festival (Korea). Sie hat viele Werke zeitgenössischer Komponist:innen uraufgeführt. Um das Interesse an koreanischem Schlagzeug zu verbreitern, hat sie Workshops an Institutionen wie dem National Gugak Center, den Ferienkursen für Neue Musik in Darmstadt, der Musik Akademie Basel und The Royal Danish Academy of Music gegeben. Gegenwärtig verbreitet sie weltweit koreanische Musik durch verschiedene Aufführungen, Meisterkurse und der Zusammenarbeit mit Musiker:innen über die Genregrenzen hinweg.

Joachim Heintz
© Helge Krückeberg

Joachim Heintz (*1961) studierte zunächst Literatur- und Kunstgeschichte, dann Komposition in Bremen bei Younghi Pagh-Paan und Günter Steinke. Als Komponist arbeitet er sowohl für Instrumente als auch für Elektronik, für Konzerte, Performances und Installationen. Mit dem von ihm programmierten elektronischen Instrument ALMA hat er mit zahlreichen Partner:innen improvisiert. Außerdem ist er Mitglied im Theater der Versammlung Bremen und schreibt Texte.

Auf dem Gebiet der Software ist er als Mitentwickler in den Open-Source-Projekten Csound und CsoundQt aktiv. Er leitet das elektronische Studio FMSBW im Institut für neue Musik der HMTM Hannover und das Electronic Department der Yarava Music Group Teheran. Im Rahmen des Vereins multiphon veranstaltet er interkulturelle Projekte mit neuer Musik.

Niloufar Shahbazi

Niloufar Shahbazi (*1995) wurde in Teheran, Iran, geboren und lebt derzeit in London.  Sie absolvierte Komposition an der Universität Teheran und studierte unter anderem mit Sara Abazari, Arman Norouzi, Hans Koolmees und René Uijlenhoet . Ihre Werke wurden unter anderem von Khashayar “Kaya” Amri, dem Erasmus Flute Quartet, The Rogue Duo und dem St. Stanislas College in Auftrag gegeben. Sie erhielt das Van Beek and Holland Scholarships, dazu internationale Auszeichnungen wie die Petrichor International Music Competition (2022). Als gefragte Kamānche Virtuosin hat sie klassische iranische und neue Musik für Kamānche im Iran und in Europa aufgeführt, dabei verschiedene Uraufführungen. Seit 2020 ist sie aktives Mitglied der Yarava Music Group Teheran und maßgeblich an der Veranstaltung von Konzerten, Festivals und Gesprächsveranstaltungen beteiligt.